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img: Kathia Shieh/CC BY

Der Angriff auf den brasilianischen Kongress und die Auswirkungen auf den politischen Diskurs im Land

30/01/2023

Dr. Daniel Oppermann (NUPRI-USP)

Begriffe und Konzepte spielen in der Politik eine zentrale Rolle. Wer eine große Zahl von Menschen ansprechen und von einer Idee überzeugen will, verwendet gerne einfache Begriffe, um komplexere Sachverhalte nicht im Detail zu erklären. Dieses Element der politischen Kommunikation findet sich bei Akteuren verschiedener politischer Richtungen und ist nicht auf populistische Akteure beschränkt.

Auch demokratische Führer vereinfachen komplizierte Sachverhalte, selbst wenn sie sich bewusst in Richtung Populismus bewegen. In Brasilien verwenden Politiker der Linken, der Mitte und der Rechten bestimmte Begriffe, wenn es darum geht, ihre eigenen Anhänger zu mobilisieren und ihre Gegner zu diffamieren. Die Diffamierung ist ein aktueller Trend. Viele verwenden Bezeichnungen, die mit harten Assoziationen verbunden sind und nicht darauf abzielen, den politischen Gegner objektiv zu kritisieren, sondern ihn ins Abseits zu stellen und manchmal zu kriminalisieren. 

Kommunist und Terrorist sind Begriffe, die in Brasilien auf populistische Weise verwendet werden. Die politische Linke verwendet das Wort Faschist, um politische Gegner zu diffamieren, während die Rechte ihre Gegner als Kommunisten einstuft. Doch im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die brasilianischen Regierungs- und Justizgebäude im Januar 2023 wurde die Bezeichnung Faschist vorübergehend durch den Begriff Terrorist ersetzt. 

Die Invasion in Brasilia

Nach der knappen Wahlniederlage von Präsident Bolsonaro im Oktober 2022 errichteten viele seiner Anhänger Protestlager in der Nähe von Militärgebäuden im ganzen Land, um ihrer Forderung nach einem militärischen Eingreifen Nachdruck zu verleihen. Die Demonstranten begründen ihre Proteste mit ihren Ängsten vor einem imaginären Kommunismus und, in diesem speziellen Fall, auch mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs. Die Forderung nach der Errichtung eines Militärregimes (und damit der Abschaffung der Demokratie) ist ein häufiger Bestandteil vieler rechtspopulistischer und rechtsextremer Demonstrationen in Brasilien. Sie wird in Brasilien bisher im Rahmen der Meinungsfreiheit geduldet, obwohl sie von Juristen als illegal eingestuft wird.

Etwa viertausend Menschen waren in der ersten Woche des Jahres 2023 nach Brasília gekommen, um an den Protesten vom 8. Januar teilzunehmen, und mehr als 1500 wurden Stunden nach den Anschlägen und am folgenden Tag festgenommen. Diese Menschen, die sich an jenem Sonntag auf den Weg zu den Regierungsgebäuden machten, bildeten einen Demonstrationszug, der in Begleitung einiger weniger Polizeibeamter in das Regierungsviertel marschierte. Trotz der großen Zahl von Demonstranten waren kaum Sicherheitskräfte in der Gegend anwesend. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie eine kleine Anzahl von Polizisten ohne erkennbaren Willen zur Gegenwehr den Demonstranten nach einem kurzen Konflikt den Weg durch eine Absperrung freimacht. Die brasilianischen Sicherheitskräfte werden seit vielen Jahren für ihr regelwidriges Verhalten kritisiert.  

Während Jair Bolsonaro an der Macht war, fanden im Regierungsviertel große Demonstrationen seiner Anhänger statt, doch nach seiner Wahlniederlage im Oktober 2022 änderten sich ihre Beweggründe. Daraufhin stürmten Hunderte von Anhängern eines Militärputsches ohne jegliche Sicherheitsmaßnahmen die Regierungs- und Justizgebäude in der Hauptstadt – ein Novum in der jüngeren brasilianischen Geschichte. Ohne jegliche Hindernisse gelang es den Randalierern, das fast leere Kongressgebäude, den Präsidentenpalast (Palácio do Planalto) und das Oberste Bundesgericht zu besetzen und deren Einrichtungen mit physischer Gewalt und Brandstiftung zu beschädigen. 

Zum Zeitpunkt des Anschlags befand sich Präsident Lula da Silva, der eine Woche zuvor vereidigt worden war, auf einer Veranstaltung in einem anderen Bundesstaat. Die ersten Reaktionen auf den Anschlag erschienen gleichzeitig in der brasilianischen Presse. In den ersten Berichten war von einer Erstürmung von Regierungsgebäuden durch Aufständische (golpistas, auf Portugiesisch) die Rede. Im Laufe des Tages wurde jedoch auch der Begriff Terrorist für die Randalierer verwendet. Auch auf Regierungsebene wurden zunächst die Begriffe Aufständische und manchmal auch Faschisten verwendet, dann aber ging man zu dem Begriff Terrorist über. 

In der Berichterstattung der folgenden Tage und Wochen und in der politischen Diskussion setzte sich das Wort Terrorist durch. Einige Nachrichtensender, darunter auch solche, die Bolsonaro nahestehen, verwendeten weiterhin Begriffe wie “antidemokratische Akte” oder “Golpistas” und vermieden den Begriff “Terroristen”. Eine derart starke Beschuldigung des Terrorismus durch eine linke Regierung in Brasilien hatte es in der jüngeren demokratischen Vergangenheit des Landes noch nicht gegeben. Der Angriff der Bolsonaro-Anhänger auf die Institutionen der brasilianischen Demokratie eröffnete ein neues Kapitel im brasilianischen Diskurs über den Terrorismus.

Historische Kontextualisierung der Begriffe

Um die Bedeutung des Begriffs Terrorismus und seine Beziehung zum Begriff Kommunismus im brasilianischen Kontext zu verstehen, ist es notwendig, die Funktion beider Begriffe in der Geschichte des Landes zu betrachten

Ein zentraler Ausgangspunkt des brasilianischen Antikommunismus war die Ablehnung der unter anderem von der Russischen Revolution beeinflussten Arbeiterbewegung, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Brasilien entstand und im Laufe der Jahre zur Bildung einer Reihe kommunistischer Organisationen und Parteien führte. Da einige aktive Teile dieser Gruppe aus Europa eingewandert waren, fürchteten Teile der konservativen brasilianischen Gesellschaft eine Subversion durch ausländische Kommunisten im Land. Die Angst vor einem ausländischen Umsturz ist ein wichtiges Element, das auch heute noch im Bereich der Verschwörungstheorien zu finden ist. 

Die mitunter gewalttätigen Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Sicherheitskräften, die revolutionären Diskurse und die Aufrufe zum Verbot von Organisationen, die mit der Arbeiterbewegung verbunden waren, trugen teilweise dazu bei, dass die brasilianische Linke als kriminelle und terroristische Gruppierung dargestellt wurde. Diese Einschätzung setzte sich während der Militärdiktatur (1964-1985) fort. In der anschließenden Demokratisierungsphase ging der Diskurs über Kommunisten und Terroristen etwas zurück, und vor allem nach 2003, während der ersten Regierung der Arbeiterpartei (PT), wurde von offizieller Seite vermieden, einen öffentlichen Diskurs über Terrorismus zu führen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die linke Regierungsmitglieder und ihre Unterstützer als Oppositionelle während der Diktatur gemacht hatten.

Mit dem Wandel des Diskurses in den USA und Europa infolge der Anschläge in New York im Jahr 2001 experimentierte Brasilien mit einer leichten Diversifizierung des Terrorismusbegriffs. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass das Land nicht die transatlantische Rhetorik übernommen hat und (abgesehen von der Situation im Dreiländereck) keine weitreichenden restriktiven Gespräche über religiöse Gruppen geführt hat. Dennoch gab es in dem Land eine Debatte über die Befürwortung oder Ablehnung eines neuen Anti-Terror-Gesetzes, das 2016 verabschiedet wurde. 

Während die brasilianische Linke die Terrorismusdebatte weitgehend vermieden hatte, erlebte das Thema in den Jahren der rechten Regierung Bolsonaros ein Comeback. Politische Vertreter des erstarkenden Rechtspopulismus versuchten während Bolsonaros Amtszeit, linke Organisationen zu kriminalisieren, indem sie ausgewählte Merkmale oder Organisationen linker Politik als kommunistisch und terroristisch brandmarkten. Mit der Regierung Bolsonaro und der ihr nahestehenden politischen Bewegung konnte der Antikommunismus des letzten Jahrhunderts und die angebliche Verbindung zwischen sozialdemokratischer linker Politik und Terrorismus verlängert werden. Auch die sozialen Medien haben die Verbreitung solcher Botschaften erleichtert.

Ein erweiterter Begriff von Terrorismus

Die Einstufung der rechtsextremen Angreifer auf den brasilianischen Kongress als Terroristen eröffnete ein neues Kapitel in der öffentlichen Debatte des Landes über potenzielle terroristische Bedrohungen. In den vergangenen hundert Jahren hatte die Rechte verschiedene linke Bewegungen und Parteien mit Terrorismusvorwürfen stigmatisiert. Einige Teile der Linken haben diesen Vorwurf jedoch auch während der Militärdiktatur erhoben und die Sicherheitsbehörden ihrerseits für Staatsterrorismus verantwortlich gemacht. Nach der Wiederherstellung der Demokratie war das Interesse der Linken an der Terrorismusfrage gering.  

Dies hat sich nach den Anschlägen vom 8. Januar geändert. Seit diesem Datum stufen auch die brasilianische Linke und ein Großteil der brasilianischen Presse bestimmte Gruppen der heutigen politischen Rechten als Terroristen ein. Ob es objektiv richtig ist, einen irrationalen, undemokratischen und gewalttätigen Mob so zu bezeichnen, ist eine andere Frage. Dieser zunächst verbale Streit wird in naher Zukunft auch juristisch ausgetragen werden und dazu beitragen, das Verhältnis zwischen den politischen Lagern und ihrem Diskurs im Lande kurz- und langfristig zu bestimmen.